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Ist Inklusion in Zeiten von Corona überhaupt noch ein Thema?

Posted in Interviews

Theater schließen. Das kulturelle Leben in Berlin steht still. Einige Konzerthäuser, Clubs und sogar Theater greifen auf Lifestreams zurück, um überhaupt etwas zu zeigen. Aber wie beeinflusst Corona und besonders das mangelnde inklusive Kulturangebot blinde und sehbehinderte Menschen. Darüber habe ich mich mit der blinden Künstlerin Silja Korn unterhalten.
Silja ist hauptberuflich Spracherzieherin. Nebenberuflich malt sie, fotografiert und ist als Autorin für den „Berliner Spielplan Audiodeskription“ unterwegs. Seit 2014 arbeitet sie regelmäßig an Audiodeskriptionen für Film und Fernsehen mit. Als die Theater schließen, ist sie zunächst entsetzt: „Seitdem es noch mehr beschränkt worden ist, fühlt sich das wie ein Alptraum an. Irgendwie ist es wie, wenn man einen Film guckt, wo die Leute eine Viruserkrankung haben. Es wird immer schlimmer und immer schlimmer und am Ende bleibt nur noch ein Held übrig, der alle retten kann. So fühlt es sich im Moment an: Wie ein schlechter Film.“

Alltag von Blinden in der Corona-Krise

Besonders den Sicherheitsabstand von anderthalb bis zwei Metern zu bewahren, findet Silja als Blinde schwierig. „Also wenn ich jetzt alleine Einkaufen gehe, dann sind die Leute ganz schön aufgedreht und ich kann auch gar nicht diesen Abstand einhalten und deswegen gehe ich gar nicht im Moment alleine einkaufen und am Boden, den Strich, den sie dort aufgeklebt haben, den kann man ja kaum fühlen mit dem Stock.“ Aber auch generell seien die Leute nicht mehr so hilfsbereit wie sonst.
„Ich habe auch das Gefühl, dass die Menschen nicht mehr so anfassen wollen“, sagt Silja. „Ist ja auch klar. Und mit uns müssen sie ja, wenn sie uns führen. Sie müssen uns anfassen und da sind die Leute schon so, gehen manchmal an einem vorbei. Das habe ich am letzten Samstag gemerkt, als ich noch alleine draußen herumgelaufen bin, dass die Leute da nicht mehr so hilfsbereit waren, weil sie eben immer Angst haben: Ich könnte mich anstecken.“
Wie so viele arbeitet die Spracherzieherin zurzeit im Home-Office und geht nur ab und zu mal raus, um frische Luft zu schnappen. Langweilig ist ihr aber trotzdem nicht.
„Ich kann mich auch ganz gut selbst beschäftigen. Das mache ich auch, wenn ich im Sommer zu meinen Eltern nach Spanien fahre und das finden meine Eltern natürlich angenehm, weil sie dann nicht die ganze Zeit mich beschäftigen müssen. Dann höre ich meine Hörbücher oder döse in meinem Liegestuhl oder nehme mir mal den Fotoapparat und gehe durch den Garten und fühle ‚rum oder male. Dann stricke ich oder ich kann auch auf der Couch liegen und vor mich hindenken, den Vögeln zuhören und dem Windzug, der um mich herum ist oder den Duft, der sich um mich herum gerade aufhält. Also ich kenne eigentlich keine Langeweile.“

Wo bleibt die Audiodeskription bei Livestreams?

Das kulturelle Angebot beschränkt sich zurzeit auf Livestreams im Internet. Silja ist gut vernetzt und erfährt auf diese Weise, wann und wo klassische Konzerte stattfinden. Leider nehmen Inklusion und Barrierefreiheit bei solchen Angeboten keine vorrangige Stellung ein. Auf die Frage, ob Livestreams von Theaterstücken im Internet auch Audiodeskription haben sollten, ist ihre Antwort deutlich.
„Natürlich wäre es schön, wenn die auch mit Audiodeskription versehen werden würden, weil wenn da nur gesprochen wird und die machen noch irgendwelche Sachen, die man nicht sieht, dann erklärt sich manches nicht.“ Ohnehin wird im Internet die Barrierefreiheit selten mitgedacht. Hier sind Bilder ohne Beschreibung. Da gibt es ein Video ohne Dialoge und allzu oft können Webseiten nicht navigiert werden. Sollte sich das kulturelle Leben aufs Netz verlagern, darf die Inklusion nicht zu kurz kommen.

„Die leben ja auch von den Künstlern…“

Obwohl Silja selbst nicht von ihrer Kunst leben muss, macht sie sich trotzdem Sorgen um andere freischaffende KünstlerInnen, die jetzt um ihre Aufträge und Existenz bangen. „Oft haben Künstler keine Rücklagen. Mal haben sie Arbeit, mal nicht und mal haben sie etwas zu tun, mal ein bisschen weniger und die leben ja von der Hand in den Mund. Meistens sind wir Künstler nicht so berühmt, sind ja die wenigsten.“ Als Lösung schlägt sie vor, dass man dafür sorgt, dass die Menschen, die von ihrer Kunst leben müssen, schnelle Unterstützung erhalten. „Oder wenn es wirklich hart auf hart kommt, dass man etwas abgibt. Wir, die wenig Geld haben, sind ja sowieso diejenigen, die am meisten abgeben. Aber ich finde schon, dass da der Staat einschreiten und den Menschen erstmal unter die Arme greifen sollte. Die leben ja auch von den Künstlern, von den Fotografen, den Filmemachern und Malern und Bildhauern und Sängern. Da sollten sie schon helfen. Wenigstens am Anfang.“

„Was kommt, das kommt“

Trotzdem behält die blinde Künstlerin gerade in solchen Zeiten eine positive Lebenseinstellung: „Was kommt, das kommt. Mir geht’s gut und ich merke, wie das mein Immunsystem auffrischt. So gehe ich immer durchs Leben.“ Ist nun Inklusion in Zeiten von Corona noch ein Thema? Bei Silja zumindest ist die Antwort klar. „Man darf nicht zurückhaltend sein. Da bin ich manchmal froh, dass ich doch sage: Ich bin noch hier. Vergesst mich mal nicht. Auch wenn ich mich alleine beschäftigen kann, möchte ich, dass ihr mich nicht vergesst. Weil sonst wirst du wirklich ganz schnell vergessen.“

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Wir sehen und hören uns hoffentlich bald in eurem Theater!

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