Im Mai zeigte das Theatertreffen 2025 erneut drei Inszenierungen mit Audiodeskription – Bernarda Albas Haus, Unser Deutschlandmärchen und Kontakthof – Echoes of ‘78. Der 20. Theaterclub des Berliner Spielplan Audiodeskription bot Gelegenheit für einen Blick hinter die Kulissen. Zu Gast war diesmal Nora Hertlein-Hull, seit Anfang 2024 Leiterin des Theatertreffens.
Die gebürtige Österreicherin hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien und Bologna studiert und war unter anderem am Burgtheater Wien, beim Nature Theater of Oklahoma und am Thalia Theater Hamburg tätig.
Das Gespräch liegt inzwischen ein paar Wochen zurück – aber es lohnt sich immer noch: Denn auch wenn der Festivalsommer längst weitergezogen ist, bleiben die Fragen nach Barrierefreiheit, künstlerischer Auswahl und strukturellen Hürden aktuell.
Lavinia Knop-Walling: Sie sind geborene Österreicherin. Sehen Sie einen Unterschied zwischen Theater in Österreich und Theater in Deutschland bzw. Berlin?
Nora Hertlein-Hull: Ich bin seit insgesamt fast fünfzehn Jahren nicht mehr in Österreich, habe aber dort meine Theaterausbildung genossen: das Studium, das Hospitieren und die Regieassistenzen. Seitdem war ich in den USA, in Italien und dann wieder in Deutschland. Ich habe verschiedene Systeme kennengelernt. Man muss schon sagen, dass der deutschsprachige Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) in einer ganz besonderen Position ist, was die öffentliche Unterstützung des Theaters und die Dichte des Angebots betrifft. Durch die historisch gewachsene Struktur in Deutschland gibt es in jeder kleineren Stadt ein einhundertfünfzig Jahre altes Theaterhaus, wenn ich das mal so pauschalisierend sagen darf. Diese Lokalität und Präsenz bis in die sogenannte „Provinz“ hinein ist natürlich schon etwas sehr Besonderes. Das gibt es in Österreich in dieser Form nicht so stark. Da fokussiert es sich eher auf die Landeshauptstädte, aber auch hier findet man in Sachen Theater fast überall „Nahversorger“.
Lavinia Knop-Walling: Sie kennen die Zehnerauswahl sicher in- und auswendig. Haben Sie ein oder zwei persönliche Favoriten?
Nora Hertlein-Hull: Besonders viel Spaß hatte ich an „Die Maschine“ (Regie: AnitaVulesica, Schauspielhaus Hamburg). Diese Sprachspielerei über ein Goethe-Gedicht hebt sich von den anderen Stücken ab und schwingt sich in poetische Höhen, die man nicht erwartet.
Ich freue mich aber auch sehr auf „Kontakthof – Echoes of ’78“ – ganz anders, aber ebenfalls sehr berührend.
Lavinia Knop-Walling: Was haben Sie von der früheren Leitung beibehalten – und was haben Sie verändert?
Nora Hertlein-Hull: Das Theatertreffen ist eine historisch gewachsene Institution mit über 60 Jahren Geschichte. Wer es übernimmt, muss dieser Tradition mit Respekt und Demut begegnen. Ich gehöre nicht zur Fraktion „alles umstoßen“ zu wollen. Für viele Theaterbegeisterte ist das Festival ein Höhepunkt des Jahres– diese öffentliche Wertschätzung muss man ernst nehmen und das Grundgerüst bewahren.
Verschiedene Leitungspersönlichkeiten haben unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, vor allem im Rahmenprogramm und den nicht-öffentlichen Formaten. Mein besonderes Interesse gilt den Nachwuchsformaten, dem internationalen Forum, dem Theatertreffen-Blog, dem Open Campus für Studierende – und der Frage, wie man ein Umfeld schafft, dass das Publikum gern besucht. Die Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen selbst kuratiere ich ja nicht.
Lavinia Knop-Walling: Hat sich das Rahmenprogramm im Vergleich zum Vorjahr verändert?
Nora Hertlein-Hull: Ja, es gibt starke Veränderungen. 2023 war noch ein Leitungsteam im Amt und setzte einen starken Fokus auf das Rahmenprogramm. Dabei wurde kritisiert, dass die 10er-Auswahl zu wenig Aufmerksamkeit bekam.
Ich kam Ende 2023 – kurz vor Bekanntgabe der Jury-Auswahl – nach Berlin. 2024 hatte ich kaum Zeit, etwas Eigenes zu gestalten und habe einfach versucht, ein rundes Festival umzusetzen.
Das Rahmenprogramm dieses Jahr ist aber schon ganz stark meins. Ich habe es gemeinsam mit den Leiter*innen des Internationalen Forums, Sima Djabar Zadegan und Aljoscha Begrich, entwickelt.
Anlass war das 60-jährige Jubiläum des Forums. Wir feiern dessen Alumni und bringen internationale Stimmen ins Festival ein – auch solche mit eher kritischem Blick aufs Theatertreffen. Gerade das finde ich spannend.
Lavinia Knop-Walling: Drei Stücke der diesjährigen Auswahl haben eine Audiodeskription. Wie barrierefrei ist das Theatertreffen insgesamt – gibt es noch Luft nach oben?
Nora Hertlein-Hull: Auf jeden Fall. Dass es inzwischen etablierte Audiodeskriptionen gibt, ist ein Glücksfall – auch dank der Förderung durch zwei Stiftungen. Die Subventionen für das Theatertreffen reichen nur für die zehn Gastspiele. Für alles Weitere, auch für Inklusionsmaßnahmen, muss ich Drittmittel einwerben.
Für die Audiodeskription haben wir inzwischen eine Art Förderstruktur aufgebaut, aber darüber hinaus steht vieles noch aus.
Ich interessiere mich z. B. sehr für Relaxed Performances – Vorstellungen, bei denen man auch mal rein- und rausgehen kann, das Licht an bleibt und andere Bedürfnisse, z.B. in Bezug auf Mobilität und Lautstärke, zugelassen werden.
Daran arbeite ich. Was Zugänglichkeit für mobilitätseingeschränkte Besucher*innen betrifft, gibt es im Großen Saal immerhin Rollstuhlplätze und Aufzüge – das ist mittlerweile Standard.
Lavinia Knop-Walling: Inwiefern sind Sie in die Entscheidung eingebunden, welche Stücke beim Theatertreffen eine Audiodeskription bekommen?
Nora Hertlein-Hull: Wir arbeiten mit Förderband e.V. und Imke Baumann (Projektleitung „Berliner Spielplan Audiodeskription“) zusammen. Nach der Verkündung der 10er-Auswahl haben wir gemeinsam überlegt, welche Stücke sich am besten eignen.
Ich hatte die meisten Arbeiten bereits gesehen, Frau Baumann sichtet die Videos der Stücke und bildet sich schnell eine Meinung.
Dabei geht es um die Bühnensituation, eingesetzte Mittel, aber auch um dramaturgische und thematische Fragen.
Wenn mehrere Stücke technisch geeignet sind, ist es auch eine künstlerische Entscheidung: Was will man anbieten – vielleicht auch mal etwas Ungewöhnliches wie „Kontakthof – Echoes of ’78“, um ein spannendes Programm zu ermöglichen.
Lavinia Knop-Walling: Gab es Stücke, bei denen Sie länger überlegt haben?
Nora Hertlein-Hull: Ja, bei „Bernarda Albas Haus“. Wir haben diskutiert, ob sich die Raumsituation für die Audiodeskription eignet.
Das Stück spielt in einem zweistöckigen Haus mit mehreren Zimmern, in denen parallel Szenen stattfinden. Die Dialoge überlagern sich, was das Verfolgen erschwert. Mein erster Impuls war: Ist das beschreibbar, wenn man visuell nicht trennen kann, wer spricht? Frau Baumann riet mir : „Auch sehende Zuschauer*innen müssen selektieren, worauf sie sich konzentrieren.“ Das hat mich überzeugt. Wenn es schwierig ist, dann für alle – nur auf unterschiedliche Weise.
Lavinia Knop-Walling: Wie wird das Festival – und speziell die Audiodeskription – finanziert?
Nora Hertlein-Hull: Das Theatertreffen ist einer von acht sogenannten„kulturellen Leuchttürmen“- der Kulturstiftung des Bundes. Unsere Hauptfinanzierung kommt durch die KSB also vom Bund, nicht vom Land Berlin. Innerhalb der Berliner Festspiele haben wir dadurch einen Sonderstatus, sind aber drittmittelfinanziert – das macht die Verwaltung komplex.
Die Förderung der Kulturstiftung deckt ungefähr die Einladung der zehn Gastspiele ab. Für alles Weitere, auch Rahmenprogramme, muss ich Drittmittel besorgen. Die Audiodeskription wird glücklicherweise zusätzlich von der Paul und Charlotte Kniese-Stiftung, sowie der Herbert Funke-Stiftung gefördert.
Lavinia Knop-Walling: Spüren Sie die aktuellen Sparmaßnahmen in der Berliner Kulturlandschaft? Und was passiert mit bestehenden und geplanten Barrierefreiheitsmaßnahmen wie Audiodeskription oder Relaxed Performances, wenn gekürzt werden müsste?
Nora Hertlein-Hull: Bei uns wurde bisher nichts gekürzt.. Aber wir arbeiten mit Berliner Partnern, und da herrscht große Verunsicherung.
Man kann nicht mehr so verlässlich planen.
Wenn es zu Kürzungen käme, müssten wir sorgfältig abwägen, wo man ansetzt, beim Programm, bei der Festivalstruktur oder sogar bei der Zahl der eingeladenen Inszenierungen.
Relaxed Performances brauchen langfristige Partner und Planungssicherheit. Aktuell sieht es dafür noch nicht gut aus – ich muss erst einmal Fördermittel dafür akquirieren.
Also: Wünschen Sie mir Glück.
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Relevante Links
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Foto: © Fabian Schellhorn

