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„Die Katze auf dem heißen Blechdach“: Tolle Schauspieler, tolle Stimmen, tolle Audiodeskription

Posted in Theaterrezension

Endlich ist der Herbst ins Land gezogen. Nach einem besonders heißen Sommer, freue ich mich auf die kälteren Tage und den Geruch nach Laub. Als ich vom U-Bahnhof Oranienburger Tor zum Deutschen Theater laufe, höre, fühle und rieche ich auch schon das eine oder andere herabgefallene Blatt. Es ist heute mein erstes Theaterstück nach der Spielzeitpause, und es verspricht, ganz im Gegensatz zum kühlen, regnerischen Herbstabend, eine richtig heiße Sache zu werden. Das Deutsche Theater zeigt nämlich „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams in der Regie von Anne Lenk, ohne Tastführung, dafür aber wunderbar beschrieben von Anke Nicolai. Ein weiteres Schmankerl ist, dass Ulrich Mattes als Big Daddy dabei ist. Das verspricht so einiges.

Das Stück der Intrigen

Da es an diesem Abend keine Tastführung gibt, steigen wir mit der audiodeskriptiven Einführung, gesprochen von Anke Nicolai, eine halbe Stunde vor Stückbeginn ein.

Die Pollitts sind eine reiche Familie, deren Fassade immer mehr zu bröckeln beginnt. Die beiden Söhne des Familienoberhaupts Big Daddy und seiner Frau Big Mama reisen mit ihren Familien an, um den Geburtstag ihres Vaters zu feiern. Gooper, der ältere Sohn, ist erfolgreicher Anwalt. Seine Frau Mae hat ihm bereits fünf Kinder geboren. Das sechste Kind ist unterwegs, und Mae ist sichtlich stolz darauf, was sie besonders vor ihrer Schwägerin Maggie herauskehrt. Brick ist der jüngere, aber offensichtlich geliebtere Sohn des Ehepaares. Seine Frau Maggie hat ihm bislang noch kein Kind geboren. Es ist aber augenscheinlich, dass diese Tatsache Brick nicht egaler sein könnte. Seit dem Selbstmord seines besten Freundes Skipper trinkt er ununterbrochen Whiskey und schert sich keinen Deut um seine Frau oder seine Familie.

Überlagert wird die Zusammenkunft von der Ankündigung, dass Big Daddy Krebs im Endstadium hat, wodurch herauskommt, dass Big Daddy seine ganze Familie hasst, bis auf Brick, dem die Liebe seiner Frau und seiner Eltern herzlich egal ist.

Kostüme aus dem 50ern und eine FFP2-Maske

Anke fährt fort, die Bühne und die Kostüme der Schauspieler*innen zu beschreiben. Die Bühne scheint aus drei Räumen zu bestehen, die ganz im Stil der 1950er Jahre hauptsächlich in Brauntönen eingerichtet ist. Zudem ist die Bühne von leuchtenden Rahmen umgeben, was den Eindruck vermittelt, man schaue auf ein vergilbtes Foto. Gooper und Mae sind fein gekleidet. Unter Maes Kleid zeichnet sich ihr Babybauch ab. Im Kontrast dazu zeigen die hautfarbenen Kostüme von Brick und Maggie, die sie fast nackt wirken lassen, ihre Verletzlichkeit. Alle tragen außerdem Perücken, die dem Stil der 50er entsprechen. Sowohl Mae als auch Maggie haben toupierte Haare, die zu einem Dutt aufgesteckt sind. Bei der Beschreibung kribbelt es in meinen Fingern, denn zu gerne hätte ich die Perücken einmal in der Hand gehabt. Da der Schauspieler von Brick kurz zuvor an Corona erkrankt ist, trägt er den ganzen Abend eine FFP2-Maske. Er ist trotzdem wunderbar, wenn auch etwas gedämpft zu hören.

„Ich trinke lieber.“

An diesem Abend beeindrucken mich die tiefschürfenden Dialoge zwischen den einzelnen Charakteren. Die Figuren sprechen fast ununterbrochen. Gleich zu Beginn werden wir mit dem Hauptkonflikt des Stückes konfrontiert. Maggie verspottet die Kinder ihrer Schwägerin, sehnt sich insgeheim aber selbst nach einem Kind. Allerdings will ihr Mann nicht mit ihr schlafen. Stattdessen hängt er lieber an der Whiskeyflasche. Über den Tod seines Freundes möchte er nicht sprechen. Der Geburtstag seines Vaters ist ihm egal, dessen nahender Tod auch. Auch der Streit ums Erbe, der Maggie, die aus armen Verhältnissen kommt, so wichtig ist, könnte ihm nicht egaler sein. Verlassen möchte Maggie Brick allerdings auch nicht. Vergeblich bin ich während der gesamten Handlung des Stückes auf der Suche nach einer einigermaßen sympathischen Figur. Brick ist ein Alkoholiker, dem alles egal ist, außer ihm selbst und seine eigenen Schmerzen. Maggie ist von Neid zerfressen, und es wird mir nicht klar, warum sie bei ihrem Mann bleibt, der offensichtlich seinen toten Freund mehr liebte als sie. Big Daddy ist ein hasserfüllter alter Mann, der jeden beschimpft außer seinen Sohn Brick. Big Mama läuft ihrem Mann und ihrem Sohn, Brick, hinterher, trotz wiederholter rüder Abweisungen. Mae stichelt und ist nur aufs Geld aus. Gooper ebenso. Sympathisch ist keiner der Figuren. Man kann nur froh sein, nicht in so einer Familie zu leben.

Berührend finde ich nichtsdestotrotz das Gespräch zwischen Big Daddy und Brick. Big Daddy zeigt zum einzigen Mal seine wahren Gefühle. Brick versucht seinen Vater immer wieder abzuwehren, aber der greift ihn immer wieder an.

Big Daddy: „Wenn du so unglücklich bist, warum bringst du dich dann nicht um?“

Brick: „Ich trinke lieber.“

Schließlich gesteht Brick, dass er sich durch seine Abweisung von Skipper für dessen Tod verantwortlich fühlt. Am Ende der Geschichte bekommt man nicht etwa ein Happy End, mit dem ich sowieso nicht gerechnet hätte. Nein, das Stück endet unbarmherzig, aber konsequent, mit einer Lüge und der unmissverständlichen Gewissheit, dass dies Big Daddys letzter Geburtstag ist.

Audiodeskription, kein großes Fragezeichen

Anke Nicolai spricht die Audiodeskription. Viel hat sie nicht zu sagen, da das Stück geradezu dialoglastig ist. Sie beschreibt, wie Brick den ganzen Abend über immer wieder von der Flasche trinkt. Ich wundere mich, dass der Schauspieler am Ende des Stückes nicht dringend zur Toilette muss. Irgendwann wirft Anke allerdings ein, dass er durch die FFP2-Maske natürlich gar nichts trinkt. Als störend habe ich lediglich das laute Rauschen empfunden, immer wenn Anke das Gerät aus- und einstellt. Ich frage mich, ob ich das Rauschen noch wahrgenommen hätte, wenn es die ganze Zeit zu hören gewesen wäre. Alles in allem hat sich die Beschreibung nahezu nahtlos in das Stück eingepasst. Zumindest sind mir keine Unstimmigkeiten aufgefallen und ich bin auch nicht mit einem großen Fragezeichen aus dem Theater gekommen. Von da her, eine gelungene Audiodeskription.

Tolle Audiodeskription, tolles Stück

Ob das Stück an den gleichnamigen Film mit Elisabeth Taylor aus dem 1950 Jahren heranreicht, kann ich nicht sagen, da ich den Film nicht kenne. Dieses Stück hat allerdings auf eindrucksvolle Weise die Intrigen aufgezeigt, die in jeder Familie vorkommen. Hinterher hatte ich den unwiderstehlichen Wunsch, meine Mutter anzurufen. Streit ums Erbe, Prestige durch Enkelkinder, mehr Liebe für ein Kind als das andere, Verachtung des Ehepartners. Das alles sind Dinge, die dem einen oder anderen leider viel zu vertraut sind. Falls ihr diese Dinge aus euren Familien kennt, schaut euch das Stück an, wenn auch nur, um zu sehen, wie man Konflikte nicht lösen sollte. Tolle Schauspieler, tolle Stimmen, tolle Audiodeskription, tolles Stück.

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